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Thomas Egger, Direktor, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete

Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), wohnt in Visp und arbeitet in Bern. In den bald vierzehn Jahren an der Spitze der SAB machte er die Organisation zu einem wichtigen Player in der schweizerischen Politlandschaft. Der 48-jährige Cheflobbyist der Bergregionen ist selten in Bergschuhen unterwegs – dafür gerne mit dem Mountainbike.

Personen aus der Hauptstadtregion: Thomas Egger, Visp

Herr Egger, Sie pendeln fast täglich vom Wallis nach Bern, bewegen sich als Direktor eines nationalen Verbands auf dem politischen Parket, sind perfekt zweisprachig und kennen die Hauptstadtregion wie Ihre Westentasche. Was macht aus Ihrer Sicht die Hauptstadtregion aus?

Die Hauptstadtregion ist der Ort des politischen Geschehens, hier werden sämtliche wichtigen Entscheide getroffen. Hier im Politzentrum verfügen wir über das entsprechende Netzwerk, können Synergien bestmöglich nutzen und auch den informellen Austausch pflegen.

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB) hatte bis 2001 den Hauptsitz in Brugg – das war falsch, denn das politische Geschehen spielt sich in Bern ab. Wir haben dementsprechend bewusst den Sitz von Brugg nach Bern verlegt. Ähnliche Überlegungen hat zum Beispiel auch der Bauernverband gemacht, der den Hauptsitz zwar immer noch in Brugg hat, der Direktor sitzt aber hier in Bern.

Aus meiner Sicht wird die räumliche Nähe sehr oft unterschätzt. Dabei ist sie elementar: Schnell einen Kaffee zusammen trinken, rasch in die Session gehen und die entsprechenden Personen unkompliziert treffen. Auch zwischen den Verbänden und der Verwaltung ist der informelle Austausch von grosser Wichtigkeit.

Sie wohnen in Visp und arbeiten in Bern. Wie sieht am morgen der Zug vom Wallis nach Bern aus?

Bumsvoll (lacht)! Der Erfolg des Lötschbergtunnels wurde unterschätzt. Es sind nicht nur Oberwalliser sondern auch Mittelwalliser bis und mit Martigny und Crans Montana, die nach Bern pendeln. Frau Ruoff, CEO der Post, wohnt beispielsweise in Crans Montana und pendelt nach Bern. Man meinte immer, die maximale Pendlerdistanz sei eine Stunde. Heute sieht man, dass viele sogar bis zu zwei Stunden für einen Weg auf sich nehmen. Dazu kommt, dass viele Arbeitnehmende heute flexible Arbeitsmodelle nutzen und zum Beispiel einen Tag von zuhause aus arbeiten. Home Office ist für mich persönlich klar das Zukunftsmodell.

An den Wochenenden ist es umgekehrt, da kommen die Touristen ins Wallis. Eigentlich sind wir Opfer des eigenen Erfolgs – der Bahnhof Visp ist viel zu klein. Er wurde nicht für diesen „Ansturm“ gebaut, die Unterführungen sind zu schmal und die Perrons mussten verlängert werden. Bis zu 20'000 Personen an Spitzentagen, das ist ein riesiges Potential, gerade für den Tagestourismus.

Die Lötschberg-Achse ist für mich Symbol für die Zusammengehörigkeit zur Hauptstadtregion. Bezogen auf das Wallis könnte man bildlich von einer „Drehung der Achsen“ sprechen. Früher liefen die Beziehungen vor allem in Ost-West-Richtung innerhalb des Kantons. Mit der Eröffnung des Lötschbergbasistunnels haben die Beziehungen zwischen dem Oberwallis und Bern deutlich an Bedeutung gewonnen. Die Achse verläuft somit eher in Nord-Süd-Richtung. Die Verbindung ist auch mentaler und sprachlicher Art. Auch der Medienkonsum orientiert sich ganz klar Richtung Bern, resp. Deutschschweiz. Welche Konsequenzen diese „Drehung der Achsen“ längerfristig für den inneren Zusammenhalt des Wallis hat, wird sich noch weisen müssen. Eigentlich müsste sich das Unterwallis jetzt erst recht um das Oberwallis kümmern und beispielweise so rasch als möglich die Autobahn fertig stellen.

Die Hauptstadtregion ist somit Chance und Gefahr für den Kanton Wallis. Wo sehen Sie die Hauptvorteile für das Wallis?

Die Hauptstadtregion ist für das Wallis interessant als Ausbildungs- und Arbeitsstandort sowie als Ort für Freizeitaktivitäten. Die Lötschbergachse ist in diesem Sinne auch eine Einkaufsmeile. Man kann im Wallis wohnhaft bleiben und in Bern studieren oder arbeiten. Für das Oberwallis ist dies ein nicht zu unterschätzender Aspekt, denn so können wir die jungen Leute im Oberwallis halten. Langfristig ist das eine grosse Chance für das Oberwallis. Und das wurde möglich durch die optimale Verkehrsanbindung.

Wir haben nun viel über die Stärken der Hauptstadtregion geredet. Sehen Sie auch Verbesserungspotential?

Der Perimeter ist künstlich geschaffen worden und entspricht keinen historischen Gegebenheiten. Das ist aus meiner Sicht die grösste Herausforderung, damit die Hauptstadtregion wirklich als Region zusammen wächst und ihre Einzigartigkeit besser ausspielt.

Die Regionen rund um die Stadt Bern müssen bestmöglich integriert werden und das fängt bereits innerhalb des Kantons Bern an. Den ländlichen Regionen muss aufgezeigt werden, wie sie von der Hauptstadtregion profitieren können. Mein Traumprojekt wäre in der Stadt Bern ein Catering zu eröffnen, das Konferenzen und Anlässe mit landwirtschaftlichen Produkten aus der ganzen Region wie zum Beispiel aus dem Binntal oder dem Gantrisch bedient.

Sie sprechen den Zusammenhalt an. Wie kann man das erreichen – institutionell oder zivilgesellschaftlich?

Es hat viel mit den Arbeitsplätzen zu tun und den Verkehrsverbindungen. Ich will kein neues staatliches Gebilde, das wäre völlig falsch. Es muss durch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zusammen wachsen.

In welchem Bereich der Wirtschaft sehen Sie am meisten Potential?

Für mich klar in der Verwaltung und den verwaltungsnahen Betrieben. Aber auch in der Wissensökonomie, sprich bei den Universitäten. Aus ihnen könnten verschiedene Start-ups und Spinn-offs entstehen, die dann auch in die Region gehen. So ist die ETH in Sion vertreten. Auch die Uni Bern könnte ein Spin-off in Interlaken eröffnen z. B. zum Thema Tourismus. Da besteht aus meiner Sicht ein grosses Potential.

Wir haben heute nur noch zwei Universitäten, die sich mit dem Thema Tourismus beschäftigen. Die eine ist in St. Gallen und die andere ist die Universität Bern mit dem Center for Regional Economic Development CRED. Hier könnte die Uni Bern ausbauen, wir haben ja auch eine grosses Tourismusregion. Der Tourismus steht vor grossen Herausforderungen: die strukturelle Krise, die Zweitwohnungs-Initiative, der Klimawandel oder der demographische Wandel. Wir brauchen konkrete Handlungsempfehlungen.

Neben dem wirtschaftlichen Nutzen geben Sie der Hauptstadtregion auch den Auftrag, besser und klarer zu kommunizieren: Was würden Sie einem jungen Menschen nach dem Schul- oder Lehrabschluss sagen, damit er in der Region bleibt?

Wir müssen unser Image besser pflegen. Wir sind eine junge, dynamische Region mit spannenden, innovativen Unternehmen (Stichwort: Gründerzentrum). Ich würde dieser Person empfehlen, ein Praktikum in der Region zu machen, um die Wirtschaft und Verwaltung besser kennenzulernen. Dafür müssen wir aber die Arbeitgeber auffordern, diese Praktikumsplätze auch anzubieten, damit die Eintrittsschwelle möglichst tief ist.

Wir müssen den jungen Menschen auch begreiflich machen, dass wir eine Vielfalt an Kultur, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten haben wie in kaum einer anderen Region. Wir können schnell Skifahren gehen, wandern oder einen Tag am See geniessen. Die Vielfalt ist ein grosser Faktor für die Lebensqualität.

Zu guter Letzt: Welchen Ort muss man in der Hauptstadtregion unbedingt gesehen haben?

Den Bundesplatz. Es ist ein schöner, offener Platz. Er symbolisiert mit den Steinplatten aus Graubünden die Solidarität innerhalb der Schweiz. Mir gefällt der Platz als solches, er steht für das politische Zentrum der Schweiz mit dem Bundeshaus, der Nationalbank und der Verwaltung, die rund herum angesiedelt sind.

Über die SAB
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) wurde 1943 in Bern zur Wahrung der Interessen der Bergbauern gegründet. Heute ist die SAB breiter aufgestellt, 23 Kantone und 700 Gemeinden gehören ihr an. Neben politischer Arbeit berät sie Bergregionen, koordiniert Freiwilligeneinsätze und vernetzt die hiesigen Berggebiete europaweit.